Kirschenrache oder Futterneid?
Nachdem die Kirsche ursprünglich zur Zeit des Römischen Reiches von den Römern aus der Türkei nach Europa gebracht wurde, war sie lange Zeit eine exklusive Delikatesse vornehmer Gesellschaften. Ihr Anbau erfolgte nur in den Gärten von Adligen und Klöstern, und die Früchte waren so ausschließlich Edelfrauen und -männern zugänglich. Ein Ereignis aus dem Jahre 1291 kommt daher für die Deutung der Redewendung infrage: Der Erzählung nach seien dem Markgrafen von Meißen auf Schloss Hirschstein angeblich vergiftete Kirschen untergejubelt worden, sodass er bald darauf verstarb. Verdächtigt wurde sein Rivale, der Bischof von Meißen, der sich nach einem Streit nur augenscheinlich mit dem Markgrafen wieder versöhnte – und dann üble Rache nahm. Diese schaurige Geschichte ist allerdings nicht belegt, sodass eine weitere Deutung infrage kommt: Das ausgelebte Privileg des Kirschgenusses wurde nämlich während der Ernte gern mit Festen gefeiert, zu denen Gäste geladen wurden, um sich gemeinsam mit den Gastgebenden an den Früchten zu erfreuen. Menschen unterer Stände versuchten sich dabei angeblich die Chance nicht entgehen zu lassen, selbst an der Freude teilzuhaben, sodass sie sich manchmal unbemerkt auf die Kirschfeten schmuggelten. Ungeladene Gäste waren jedoch, wie man sich vorstellen kann, gar nicht gern gesehen, und so wurden die Eindringlinge – wohl aus Futterneid – mit Kirschkernen und -stielen bespuckt und beworfen, bis sie die Festlichkeit wieder verließen. Wenn man heute deshalb davon spricht, mit jemandem sei nicht gut Kirschen essen, geht die Redewendung auf diese Ereignisse zurück.
Kirschkerne spucken und Stiele schmeißen – oder lieber gleich mit Disteln werfen
Zum ersten Mal trat die Redewendung im späten Mittelalter auf. Offenbar wurden damals die Kerne aber meist noch mitgegessen, weshalb es auch in einer Fabelsammlung mit dem Namen »Der Edelstein« von Ulrich Boner heißt: »Wer mit Herren Kirschen essen will, dem werfen sie die Stiele in die Augen.« Allerdings scheint diese Redewendung in mündlicher Sprache damals noch nicht besonders aktiv gewesen zu sein, weshalb in manchen Schriften aus »die stil« (althochdeutsch) beim Abschreiben plötzlich »diestiel«, also neuhochdeutsch »Distel«, wurde. Das wäre wohl noch deutlich schmerzhafter gewesen. In späteren Belegen sind es dann nicht mehr die Stiele (oder Disteln), sondern öfter die Kerne, mit denen umhergeworfen wird. Während in den Schriften Stiele, Disteln und Kerne variieren, hat sich die Bedeutung über die Zeit dagegen kaum verändert: Zwar bringen wir Menschen, mit denen nicht gut Kirschen essen ist, nicht mehr direkt mit hohen Herrschaften in Verbindung, die ihre Launen an den ihnen Untergebenen auslassen. Aber wir verstehen den Satz auch heute noch als eine Art Warnung: Er ist ein Hinweis auf die wechselhaften Stimmungen einer Person oder auf ihren fragwürdigen Charakter. Zwar würden wir wohl in den seltensten Fällen riskieren, angespuckt zu werden, allerdings würden wir wohl auch eher ungern mit so jemandem unsere Kirschen teilen wollen.