Archiv für den Monat: Oktober 2016

Was das Präsens alles kann

Was das Präsens alles kann

Flexible Zeitform: Mit dem Präsens lässt sich auch über Zukünftiges und Vergangenes sprechen.

»Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.« So lautet eine bekannte Redensart, die uns daran erinnern soll, nicht ständig alles vor uns herzuschieben. Wenn wir sagen wollen, was wir schon erledigt haben, was wir jetzt im Moment gerade tun und was wir noch alles vorhaben, gibt es im Deutschen verschiedene Möglichkeiten. Die sechs verschiedenen Zeitformen, auch grammatische Tempora genannt, erlauben es uns sprachlich gesehen, Aktivitäten und Handlungen zeitlich einzuordnen. Vergangenheitsformen wie das Präteritum, Perfekt oder Plusquamperfekt benutzen wir für bereits Vergangenes: »Ich rief meine Oma an.«, »Ich habe den Biomüll runtergebracht.« oder »Das hatte ich letztens schon erledigt.« Um Zukünftiges auszudrücken, stehen die Tempusformen Futur I und II zur Verfügung: »Ich werde morgen weitermachen.« oder »Nächste Woche werde ich alles erledigt haben.« Und beim Präsens liegt die Verwendungsform scheinbar auf der Hand: »Ich telefoniere.«

Szenisch, episch, historisch

Aber ist das Ganze wirklich so simpel? Dass das Präsens gar nicht so unflexibel ist, wie die einfache Bezeichnung als Gegenwartstempus ihm unterstellt, kann eine beispielhafte Unterhaltung veranschaulichen: »Gestern telefoniere ich mit meiner Oma, da erzählt sie mir glatt, sie besucht mich bald!« – »Wie schön, geh doch mit ihr ins Museum.« – »Aber das schließt doch immer schon so früh am Abend.«

Hier kommt auf einmal überall Präsens vor. Dabei geht es gar nicht um gegenwärtig stattfindende Dinge, sondern zeitlich gesehen um einiges mehr. Zum Beispiel wird gleich im ersten Satz das Präsens benutzt, um das vergangene Telefonat wiederzugeben. Obwohl das Telefongespräch mit der Oma schon vorbei ist, was wir durch das Wörtchen »gestern« bereits wissen, kann hier das Präsens benutzt werden. In diesem Fall spricht man auch vom szenischen Präsens, das dazu gebraucht wird, die Erzählung für die zuhörende Person unmittelbarer, lebhafter und damit vielleicht auch ein bisschen interessanter zu machen. Statt des szenischen Präsens hätte hier auch eine Tempusform, die die Vergangenheit anzeigt, verwendet werden können (also vorzugsweise Perfekt oder Präteritum: »Gestern telefonierte ich mit meiner Oma.« bzw. »Gestern habe ich mit meiner Oma telefoniert.«).

Verwandt mit dem szenischen ist auch das epische Präsens, das von Autorinnen und Autoren in Romanen oder fiktiven Erzählungen gern verwendet wird, obwohl der jeweilige Text eigentlich durchgehend im Präteritum geschrieben ist. Bei der Verwendung vom epischen Präsens gibt es einen plötzlichen Bruch im Tempus: »Sie betrat das Museum und pfiff leise vor sich hin, während sie die Gemälde betrachtete. Plötzlich fängt eines der Bilder Feuer.« Mit dem abrupten Tempuswechsel wird Spannung erzeugt, und das Ereignis rückt für die Lesenden direkt in unmittelbare Nähe. Sowohl das epische als auch das szenische Präsens sind Formen des historischen Präsens. Dieses findet man in Lehrbüchern, aber vor allem auch in Schlagzeilen vor: »Im Jahre 1907 öffnet das Pergamonmuseum zum ersten Mal.« Auch dieser Satz klingt für uns völlig akzeptabel. Der Eröffnungstermin liegt hier zwar schon über hundert Jahre zurück, aber trotzdem kann für die historische Sensation problemlos das Präsens verwendet werden.

Das Präsens ist ein Alleskönner

Aber kommen wir noch mal zurück zu unserem Telefonat mit Oma. »Sie besucht mich bald« ist ein Ereignis in der Zukunft, dies wird vor allem durch das Temporaladverb »bald« deutlich. Ausdrücke wie zum Beispiel »morgen«, »in einer Stunde« oder »nächstes Jahr« (bzw. »gestern«, »vor zwei Stunden« oder »letztes Jahr«) erleichtern es uns, Handlungen, die im Präsens geäußert werden, der Zukunft (bzw. der Vergangenheit) zuzuordnen. Anstelle der Präsensform könnten hier dann auch einfach Futur (bzw. Präteritum oder Perfekt) angewendet werden: »Sie wird mich bald besuchen.« Die Bedeutung bleibt dieselbe. Man kann schließlich festhalten: Die simple Annahme, das Präsens werde ausnahmslos für gerade Stattfindendes benutzt, müssen wir als falsch zurückweisen. Es mischt mit, egal, ob eine Handlung in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegt, und beschränkt sich nicht auf den Gebrauch für Gegenwärtiges. In unserem täglichen Sprachgebrauch fällt uns die Vielfältigkeit dieser einfachen Zeitform kaum auf.

Was du heute kannst besorgen …

Was sucht das Präsens nun aber im letzten Satz unserer fiktiven Unterhaltung? In »Aber das Museum schließt doch immer schon so früh am Abend« bezeichnet das Präsens weder eine Handlung in der momentanen Gegenwart, in der Zukunft noch eine in der Vergangenheit. Gemeint ist vielmehr ein genereller, immer wiederkehrender Vorgang. Das Museum schließt nicht jetzt gerade früh am Abend, sondern jeden Tag aufs Neue. Das Präsens drückt hier in gewisser Weise Zeitlosigkeit aus und gibt Sätzen eine allgemeingültige Bedeutung, sodass man die Präsensform auch gern in Sprichwörtern verwendet. Wenn wir uns also an den allerersten Satz dieses Textes zurückerinnern, wird klar, warum wir auch hier Präsens verwenden: »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.« Dieser gute Vorsatz hat einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit – und dennoch halten wir uns nicht daran. Vielleicht auch aus gutem Grund. So können wir uns jeden Tag aufs Neue vornehmen, der Prokrastination den Kampf anzusagen.

Von Äpfeln und Birnen

Apfel und Birne gehören zusammen wie »wie« und »als«

Als wie der Apfel?

In unsagbar vielen Situationen vergleichen wir, und selten geht es dabei einfach um besser oder schlechter: Wenn das Wetter von heute vielleicht wärmer war als das von gestern, wenn wir Erdbeereis lieber mögen als Vanilleeis oder wir die Texte von Goethe gegenüber denen von J. K. Rowling bevorzugen. In der Sprachwissenschaft nennt man diesen Vorgang Komparation. Um Dinge miteinander zu vergleichen, haben sich im Deutschen zwei Wörter entwickelt, die uns dabei sprachlich auf die Sprünge helfen. Mit ihrer Hilfe können wir sogar Äpfel mit Birnen vergleichen! Die Rede ist von »wie« und »als«. Sie werden auch Vergleichspartikeln genannt. Trotzdem werden die beiden Wörter manchmal durcheinandergebracht, verwechselt oder plötzlich gleichzeitig gebraucht. Aber ist das trotzdem noch korrekt? Um diese Frage zu beantworten, kann es helfen, »wie« und »als« und ihre Verwendungsweisen mal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Gleichheit versus Unterschiedlichkeit

Das Wörtchen »wie« kommt bei Aussagen über Gleichheit zum Einsatz: »Die Birne ist rot wie der Apfel.« In der Sprachwissenschaft nennt man diese Vergleichsform auch Positiv, das Adjektiv bleibt dabei unverändert. Mit »wie« geht auch oft das Wörtchen »so« oder »genauso« einher: »Der Apfel schmeckt mir genauso gut wie die Birne.« Hat man alle Ähnlichkeiten zwischen Apfel und Birne festgestellt, kann man sich der zweiten Vergleichspartikel zuwenden: »Als« wird verwendet, wenn man die Unterschiedlichkeit zwischen Dingen ausdrücken will. »Die Birne ist saftiger als der Apfel.« Schaut man sich das Adjektiv bei dieser Art des Vergleichs mit »als«, auch Komparativ genannt, genauer an, fällt auf, dass ihm zwei Buchstaben angehängt wurden. Bei »-er« handelt es sich um die Steigerungsflexion von Adjektiven, also um die Endsilbe, die Adjektive zu Komparativen macht und Unterschiedlichkeit anzeigt. Birnen können außerdem »weicher«, »kleiner«, »unförmiger«, »süßer« usw. sein als Äpfel.
Das klingt so weit ganz einfach, betrachten wir aber folgende Sätze: »Der Birnensaft ist lauwarmer als der Apfelsaft.« oder »Der Apfelbaum ist toter als der Birnbaum.« Die Wörter »lauwarm« und »tot« lassen sich ganz offensichtlich nicht steigern. Adjektive dieser Art werden auch Absolutadjektive genannt. Diese drücken schon ohne irgendwelche Steigerungssilben den höchsten oder auch niedrigsten Grad der jeweiligen Eigenschaft aus. Weitere Beispiele hierfür sind »leer«, »voll«, »schwanger«, »dreieckig« und »optimal«. Um herauszufinden, welche Adjektive zu den Absolutadjektiven gehören, kann man versuchen, sie zu graduieren. Dabei lässt sich feststellen: Ein bisschen leer zu sein ist genauso unmöglich, wie ein wenig dreieckig oder ein bisschen schwanger. Adjektive, die wie die Absolutadjektive nicht steiger- oder graduierbar sind, sind solche, die aus anderen zusammengesetzt sind: Jemand kann nicht »bärenstärker« und auch nicht »hundsgemeiner« sein als jemand anders. Für Verwirrung sorgen dabei jedoch entlehnte Farbwörter wie »lila« oder »rosa«, die ebenfalls nicht steigerbar sind – »rot«, »blau« und »grün« währenddessen aber schon.

»wie« oder »als« – nicht beide zusammen

Aber zurück zu den Äpfeln und Birnen beziehungsweise zu »wie« und »als«: Beide Wörter kommen nämlich bekanntlich nicht nur bei Vergleichen zum Einsatz, sondern können auch andere Funktionen erfüllen. Neben der Tatsache, dass »wie« natürlich ein Fragewort sein kann, wird es auch gern für Metaphern oder rhetorische Figuren gebraucht, die nur entfernt etwas mit Vergleichen zu tun haben: »Wie geht es ihm?» – »Er schläft wie ein Murmeltier.«
»Als« währenddessen kann auch Nebensätze einleiten und Gleichzeitigkeit ausdrücken: »Das Telefon klingelte, als sie gerade in ihr Brötchen beißen wollte.«
Wenn wir nun aber bei den Vergleichen bleiben, fällt auf, dass manchmal »wie« und »als« sogar direkt hintereinanderstehen. Vor allem im Süddeutschen ist das Phänomen verbreitet, sich nicht für eine der beiden Formen zu entscheiden, sodass plötzlich einfach beide gleichzeitig vorkommen: »Der Apfel schmeckt mir besser als wie die Birne.«
Leider ganz falsch. Standardsprachlich darf entweder »wie« oder »als« vorkommen, je nachdem, ob man Gleichheit oder Unterschied ausdrücken will, aber nie beide auf einmal. Um die beiden Partikeln »wie« und »als« auseinanderzuhalten, hilft eine Faustregel: Sind die zu vergleichenden Dinge verschieden, benutzt man »als«, liegt eine Gemeinsamkeit vor, dann gebraucht man »wie«. Eigentlich gar nicht so schwierig.
Die Ursache dafür, dass die beiden Vergleichspartikeln trotzdem so gern verwechselt werden, besteht darin, wie sie sich seit dem Frühneuhochdeutschen entwickelt haben. Der Komparativ, der heute mit »als« gebildet wird, wurde früher durch »denn« oder »dann« ausgedrückt, während man für Gleichheit die Wörter »wie«, »als« und »als ob/wenn« verwendete. Das von uns heute noch gebrauchte Wort »als« hatte im Mittelhochdeutschen also noch die umgekehrte Bedeutung, für die wir heute »wie« benutzen. Wenn Goethe in Faust I deshalb meint »Da steh’ ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor!«, können wir ihm nicht unterstellen, die Komparationsregel nicht beachtet zu haben. Im Gegensatz zu heute war auch die Mischverwendung seinerzeit noch völlig legitim. Auf die gleichzeitige Verwendung von »als« und »wie« sollten die jungen Goethes unter uns heute aber lieber verzichten.