Kategorie-Archiv: Grammatik

Was das Präsens alles kann

Was das Präsens alles kann

Flexible Zeitform: Mit dem Präsens lässt sich auch über Zukünftiges und Vergangenes sprechen.

»Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.« So lautet eine bekannte Redensart, die uns daran erinnern soll, nicht ständig alles vor uns herzuschieben. Wenn wir sagen wollen, was wir schon erledigt haben, was wir jetzt im Moment gerade tun und was wir noch alles vorhaben, gibt es im Deutschen verschiedene Möglichkeiten. Die sechs verschiedenen Zeitformen, auch grammatische Tempora genannt, erlauben es uns sprachlich gesehen, Aktivitäten und Handlungen zeitlich einzuordnen. Vergangenheitsformen wie das Präteritum, Perfekt oder Plusquamperfekt benutzen wir für bereits Vergangenes: »Ich rief meine Oma an.«, »Ich habe den Biomüll runtergebracht.« oder »Das hatte ich letztens schon erledigt.« Um Zukünftiges auszudrücken, stehen die Tempusformen Futur I und II zur Verfügung: »Ich werde morgen weitermachen.« oder »Nächste Woche werde ich alles erledigt haben.« Und beim Präsens liegt die Verwendungsform scheinbar auf der Hand: »Ich telefoniere.«

Szenisch, episch, historisch

Aber ist das Ganze wirklich so simpel? Dass das Präsens gar nicht so unflexibel ist, wie die einfache Bezeichnung als Gegenwartstempus ihm unterstellt, kann eine beispielhafte Unterhaltung veranschaulichen: »Gestern telefoniere ich mit meiner Oma, da erzählt sie mir glatt, sie besucht mich bald!« – »Wie schön, geh doch mit ihr ins Museum.« – »Aber das schließt doch immer schon so früh am Abend.«

Hier kommt auf einmal überall Präsens vor. Dabei geht es gar nicht um gegenwärtig stattfindende Dinge, sondern zeitlich gesehen um einiges mehr. Zum Beispiel wird gleich im ersten Satz das Präsens benutzt, um das vergangene Telefonat wiederzugeben. Obwohl das Telefongespräch mit der Oma schon vorbei ist, was wir durch das Wörtchen »gestern« bereits wissen, kann hier das Präsens benutzt werden. In diesem Fall spricht man auch vom szenischen Präsens, das dazu gebraucht wird, die Erzählung für die zuhörende Person unmittelbarer, lebhafter und damit vielleicht auch ein bisschen interessanter zu machen. Statt des szenischen Präsens hätte hier auch eine Tempusform, die die Vergangenheit anzeigt, verwendet werden können (also vorzugsweise Perfekt oder Präteritum: »Gestern telefonierte ich mit meiner Oma.« bzw. »Gestern habe ich mit meiner Oma telefoniert.«).

Verwandt mit dem szenischen ist auch das epische Präsens, das von Autorinnen und Autoren in Romanen oder fiktiven Erzählungen gern verwendet wird, obwohl der jeweilige Text eigentlich durchgehend im Präteritum geschrieben ist. Bei der Verwendung vom epischen Präsens gibt es einen plötzlichen Bruch im Tempus: »Sie betrat das Museum und pfiff leise vor sich hin, während sie die Gemälde betrachtete. Plötzlich fängt eines der Bilder Feuer.« Mit dem abrupten Tempuswechsel wird Spannung erzeugt, und das Ereignis rückt für die Lesenden direkt in unmittelbare Nähe. Sowohl das epische als auch das szenische Präsens sind Formen des historischen Präsens. Dieses findet man in Lehrbüchern, aber vor allem auch in Schlagzeilen vor: »Im Jahre 1907 öffnet das Pergamonmuseum zum ersten Mal.« Auch dieser Satz klingt für uns völlig akzeptabel. Der Eröffnungstermin liegt hier zwar schon über hundert Jahre zurück, aber trotzdem kann für die historische Sensation problemlos das Präsens verwendet werden.

Das Präsens ist ein Alleskönner

Aber kommen wir noch mal zurück zu unserem Telefonat mit Oma. »Sie besucht mich bald« ist ein Ereignis in der Zukunft, dies wird vor allem durch das Temporaladverb »bald« deutlich. Ausdrücke wie zum Beispiel »morgen«, »in einer Stunde« oder »nächstes Jahr« (bzw. »gestern«, »vor zwei Stunden« oder »letztes Jahr«) erleichtern es uns, Handlungen, die im Präsens geäußert werden, der Zukunft (bzw. der Vergangenheit) zuzuordnen. Anstelle der Präsensform könnten hier dann auch einfach Futur (bzw. Präteritum oder Perfekt) angewendet werden: »Sie wird mich bald besuchen.« Die Bedeutung bleibt dieselbe. Man kann schließlich festhalten: Die simple Annahme, das Präsens werde ausnahmslos für gerade Stattfindendes benutzt, müssen wir als falsch zurückweisen. Es mischt mit, egal, ob eine Handlung in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegt, und beschränkt sich nicht auf den Gebrauch für Gegenwärtiges. In unserem täglichen Sprachgebrauch fällt uns die Vielfältigkeit dieser einfachen Zeitform kaum auf.

Was du heute kannst besorgen …

Was sucht das Präsens nun aber im letzten Satz unserer fiktiven Unterhaltung? In »Aber das Museum schließt doch immer schon so früh am Abend« bezeichnet das Präsens weder eine Handlung in der momentanen Gegenwart, in der Zukunft noch eine in der Vergangenheit. Gemeint ist vielmehr ein genereller, immer wiederkehrender Vorgang. Das Museum schließt nicht jetzt gerade früh am Abend, sondern jeden Tag aufs Neue. Das Präsens drückt hier in gewisser Weise Zeitlosigkeit aus und gibt Sätzen eine allgemeingültige Bedeutung, sodass man die Präsensform auch gern in Sprichwörtern verwendet. Wenn wir uns also an den allerersten Satz dieses Textes zurückerinnern, wird klar, warum wir auch hier Präsens verwenden: »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.« Dieser gute Vorsatz hat einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit – und dennoch halten wir uns nicht daran. Vielleicht auch aus gutem Grund. So können wir uns jeden Tag aufs Neue vornehmen, der Prokrastination den Kampf anzusagen.

Von Äpfeln und Birnen

Apfel und Birne gehören zusammen wie »wie« und »als«

Als wie der Apfel?

In unsagbar vielen Situationen vergleichen wir, und selten geht es dabei einfach um besser oder schlechter: Wenn das Wetter von heute vielleicht wärmer war als das von gestern, wenn wir Erdbeereis lieber mögen als Vanilleeis oder wir die Texte von Goethe gegenüber denen von J. K. Rowling bevorzugen. In der Sprachwissenschaft nennt man diesen Vorgang Komparation. Um Dinge miteinander zu vergleichen, haben sich im Deutschen zwei Wörter entwickelt, die uns dabei sprachlich auf die Sprünge helfen. Mit ihrer Hilfe können wir sogar Äpfel mit Birnen vergleichen! Die Rede ist von »wie« und »als«. Sie werden auch Vergleichspartikeln genannt. Trotzdem werden die beiden Wörter manchmal durcheinandergebracht, verwechselt oder plötzlich gleichzeitig gebraucht. Aber ist das trotzdem noch korrekt? Um diese Frage zu beantworten, kann es helfen, »wie« und »als« und ihre Verwendungsweisen mal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Gleichheit versus Unterschiedlichkeit

Das Wörtchen »wie« kommt bei Aussagen über Gleichheit zum Einsatz: »Die Birne ist rot wie der Apfel.« In der Sprachwissenschaft nennt man diese Vergleichsform auch Positiv, das Adjektiv bleibt dabei unverändert. Mit »wie« geht auch oft das Wörtchen »so« oder »genauso« einher: »Der Apfel schmeckt mir genauso gut wie die Birne.« Hat man alle Ähnlichkeiten zwischen Apfel und Birne festgestellt, kann man sich der zweiten Vergleichspartikel zuwenden: »Als« wird verwendet, wenn man die Unterschiedlichkeit zwischen Dingen ausdrücken will. »Die Birne ist saftiger als der Apfel.« Schaut man sich das Adjektiv bei dieser Art des Vergleichs mit »als«, auch Komparativ genannt, genauer an, fällt auf, dass ihm zwei Buchstaben angehängt wurden. Bei »-er« handelt es sich um die Steigerungsflexion von Adjektiven, also um die Endsilbe, die Adjektive zu Komparativen macht und Unterschiedlichkeit anzeigt. Birnen können außerdem »weicher«, »kleiner«, »unförmiger«, »süßer« usw. sein als Äpfel.
Das klingt so weit ganz einfach, betrachten wir aber folgende Sätze: »Der Birnensaft ist lauwarmer als der Apfelsaft.« oder »Der Apfelbaum ist toter als der Birnbaum.« Die Wörter »lauwarm« und »tot« lassen sich ganz offensichtlich nicht steigern. Adjektive dieser Art werden auch Absolutadjektive genannt. Diese drücken schon ohne irgendwelche Steigerungssilben den höchsten oder auch niedrigsten Grad der jeweiligen Eigenschaft aus. Weitere Beispiele hierfür sind »leer«, »voll«, »schwanger«, »dreieckig« und »optimal«. Um herauszufinden, welche Adjektive zu den Absolutadjektiven gehören, kann man versuchen, sie zu graduieren. Dabei lässt sich feststellen: Ein bisschen leer zu sein ist genauso unmöglich, wie ein wenig dreieckig oder ein bisschen schwanger. Adjektive, die wie die Absolutadjektive nicht steiger- oder graduierbar sind, sind solche, die aus anderen zusammengesetzt sind: Jemand kann nicht »bärenstärker« und auch nicht »hundsgemeiner« sein als jemand anders. Für Verwirrung sorgen dabei jedoch entlehnte Farbwörter wie »lila« oder »rosa«, die ebenfalls nicht steigerbar sind – »rot«, »blau« und »grün« währenddessen aber schon.

»wie« oder »als« – nicht beide zusammen

Aber zurück zu den Äpfeln und Birnen beziehungsweise zu »wie« und »als«: Beide Wörter kommen nämlich bekanntlich nicht nur bei Vergleichen zum Einsatz, sondern können auch andere Funktionen erfüllen. Neben der Tatsache, dass »wie« natürlich ein Fragewort sein kann, wird es auch gern für Metaphern oder rhetorische Figuren gebraucht, die nur entfernt etwas mit Vergleichen zu tun haben: »Wie geht es ihm?» – »Er schläft wie ein Murmeltier.«
»Als« währenddessen kann auch Nebensätze einleiten und Gleichzeitigkeit ausdrücken: »Das Telefon klingelte, als sie gerade in ihr Brötchen beißen wollte.«
Wenn wir nun aber bei den Vergleichen bleiben, fällt auf, dass manchmal »wie« und »als« sogar direkt hintereinanderstehen. Vor allem im Süddeutschen ist das Phänomen verbreitet, sich nicht für eine der beiden Formen zu entscheiden, sodass plötzlich einfach beide gleichzeitig vorkommen: »Der Apfel schmeckt mir besser als wie die Birne.«
Leider ganz falsch. Standardsprachlich darf entweder »wie« oder »als« vorkommen, je nachdem, ob man Gleichheit oder Unterschied ausdrücken will, aber nie beide auf einmal. Um die beiden Partikeln »wie« und »als« auseinanderzuhalten, hilft eine Faustregel: Sind die zu vergleichenden Dinge verschieden, benutzt man »als«, liegt eine Gemeinsamkeit vor, dann gebraucht man »wie«. Eigentlich gar nicht so schwierig.
Die Ursache dafür, dass die beiden Vergleichspartikeln trotzdem so gern verwechselt werden, besteht darin, wie sie sich seit dem Frühneuhochdeutschen entwickelt haben. Der Komparativ, der heute mit »als« gebildet wird, wurde früher durch »denn« oder »dann« ausgedrückt, während man für Gleichheit die Wörter »wie«, »als« und »als ob/wenn« verwendete. Das von uns heute noch gebrauchte Wort »als« hatte im Mittelhochdeutschen also noch die umgekehrte Bedeutung, für die wir heute »wie« benutzen. Wenn Goethe in Faust I deshalb meint »Da steh’ ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor!«, können wir ihm nicht unterstellen, die Komparationsregel nicht beachtet zu haben. Im Gegensatz zu heute war auch die Mischverwendung seinerzeit noch völlig legitim. Auf die gleichzeitige Verwendung von »als« und »wie« sollten die jungen Goethes unter uns heute aber lieber verzichten.

Nachgeforscht statt nachgezählt

lieber nachforschen

Wie viele sind’s noch?

Wie viele Wörter umfasst eigentlich die deutsche Sprache? Man könnte sich einmal daranmachen, alle zu zählen. Das stellt sich aber schon nach kürzester Zeit als eine wahre Sisyphusarbeit heraus, denn was ist ausschlaggebend dafür, welche Wörter zu zählen sind? Nimmt man zum Beispiel das Wort »zählen« und trifft auf das Wort »zählbar« – sollten dann beide in die Liste aufgenommen werden? Darüber sind sich selbst Fachleute nicht einig, weshalb beim Zählen des gegenwärtigen deutschen Wortschatzes auch jede Menge unterschiedliche Zahlen zustande kommen.
Ein Blick ins Wörterbuch könnte helfen – aber welches nimmt man da am besten? Der aktuelle Rechtschreib-Duden (Band 1) beispielsweise enthält nur in sehr geringem Umfang fachspezifische Wörter. Fachbegriffe aus der Chemie oder der Informatik wird man hier kaum finden – laut Winter (1986, deutscher Sprachwissenschaftler) findet man aber schon allein in der chemischen Fachsprache 20 Millionen Benennungen. Aber nicht nur Fachchinesisch (bzw. -deutsch) kommt in Standardwörterbüchern so gut wie gar nicht vor. Auch Wortzusammensetzungen, Komposita genannt, Ableitungen und Wortneubildungen fehlen. Viele Wortbildungen sind außerdem situationsabhängig und entstehen einmalig und spontan. Zum Beispiel erzählen wir von einem »klassenfahrtsmäßigen Höllenausflug«, wenn jemand uns nach dem letzten Familienurlaub fragt. Solche Ausdrücke findet man in keinem Wörterbuch.

Der Wortschatz im Wandel

Hinzu kommt aber auch, dass unsere Sprache einem stetigen Wandel unterliegt und Wörter, die man heute noch verwendet, vielleicht bald durch neue abgelöst und nicht mehr gebraucht werden. Das liegt zum Beispiel daran, dass neue Objekte neue Bezeichnungen brauchen, oder andersherum alte Gegenstände nicht mehr verwendet werden und deshalb auch die Wörter für sie entfallen. »Felleisen« zum Beispiel ist ein Wort, das heute kaum noch auftaucht. Ursprünglich war damit der Lederrucksack gemeint, den Handwerksgesellen mit sich trugen. Abgelöst durch oft aus Plastik gefertigte (Schul-)Rucksäcke, Ranzen oder Tornister ist das Felleisen heute kaum noch in Gebrauch, weder als Gegenstand noch als Begriff.
Genauso finden Wörter aus anderen Sprachen Eingang in den deutschen Wortschatz. Beispiele hierfür sind »Portemonnaie« aus dem Französischen oder etwa technische Begriffe aus dem Englischen wie »Internet«, »DVD« oder »Handy«. (Kaum jemand würde heute im »weltweiten Verbund aus Rechnernetzwerken« nach »Datenträgern mit digitalen audiovisuellen Sequenzen« oder nach einem neuen »nicht ortsgebundenen Telefon im Taschenformat« suchen.) Aufgrund all dieser Faktoren, die auf unseren Wortschatz einwirken, kann kein Wörterbuch ihn je vollständig erfassen. Zwar kann man die in Wörterbüchern vorhandenen Wörter zählen, der wahre Umfang des deutschen Wortschatzes kann aber nur geschätzt werden.

Wie viele Wörter braucht man überhaupt?

Um nun aber doch einmal eine Zahl zu nennen, sei auf den »Ersten Bericht zum Zustand der deutschen Sprache« verwiesen: Dieser erschien 2014 und schätzt den Wortschatz auf 5.3000.000 Wörter. Aber braucht man denn so viele Wörter überhaupt?
Um die deutsche Sprache zu verstehen, ist es wichtig, zu wissen, welche Wörter im Wortschatz überhaupt besonders häufig sind. Um zum Beispiel diesen Text verstehen zu können, sollte man auf jeden Fall den Begriff »Wortschatz« kennen. Allgemein sind es aber kaum Nomen, die in der deutschen Sprache zu den meistgebrauchten zählen. Die häufigsten zehn sind (nach Stand von 2001) folgende: »der«, »die«, »und«, »in«, »den«, »von«, »zu«, »das«, »mit« und »sich«. Die Plätze 11 bis 50 klingen dabei ähnlich monoton, denn es handelt sich vor allem um einsilbige Artikel, Präpositionen und Partikel. Bei weiteren wissenschaftlichen Betrachtungen des Wortschatzes ist man währenddessen zu einem interessanten Ergebnis gekommen: In einer Studie zur Erforschung des deutschen Grundwortschatzes hat man festgestellt, dass man nur etwa 1.285 Wörter kennen muss, um 85 Prozent jedes beliebigen Textes zu verstehen. Natürlich sind hier Fachtexte ausgenommen, aber dennoch geben diese Erkenntnisse hilfreiche Anhaltspunkte darüber, welche Teile des Wortschatzes besonders relevant sind. So haben vor allem Deutschlehrende, aber auch -lernende den Vorteil, sich der Sprache gezielter zu nähern. Und fünf Millionen Wörter könnte sich ja eh keiner merken.

Die Endung macht den Unterschied

Anhängsel

Welches Anhängsel darf‘s denn sein?

Unsere heimischen Adjektive machen es uns heimlich manchmal ganz schön schwer. Und dabei ist im deutschen Wortschatz jedes sechste Wort ein Adjektiv! Die meisten von ihnen leiten sich aus anderen Wörtern (zum Beispiel Nomen oder Verben) ab, wobei es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, Adjektive zu bilden. Meistens geschieht das durch Silben, die an das Ende eines Wortstammes gehängt werden, wie hier im ersten Satz zum Beispiel durch »isch« und »lich« an das Wort »Heim«. Bei dieser Art der Wortbildung, auch Derivation genannt, entsteht aus einem ursprünglichen Nomen (hier »Heim«) durch das Anhängen einer Silbe eine neue Wortart. Adjektive können dabei nicht nur aus Nomen, sondern auch aus Verben und anderen Adjektiven entstehen, indem einfach eine Silbe, ein sogenanntes Suffix, hinten angehängt wird. So einfach scheint das Ganze dann allerdings doch wieder nicht zu sein, denn wie wir oben gesehen haben, gibt es nicht nur eine Sorte Suffixe, sondern viele verschiedene, die wiederum auch noch unterschiedliche Bedeutungen mit sich bringen.

kindlich versus kindisch

Weitere Nachsilben, die sich neben »lich« und »isch« mit anderen Wortarten zu Adjektiven verbinden, sind zum Beispiel »bar«, »en«, »ern«, »los«, »sam« oder »haft«. Trotzdem führen sie am Ende selten zur gleichen Bedeutung: Ein Baum ist nicht gewaltsam, nur weil er gewaltig ist; ein Apfel ist fruchtig (fruchtlich ist er nicht) und nur seine Kerne sind fruchtbar; die Natur ist achtbar, aber kann sie auch achtsam sein?

Wenden wir uns zunächst mal den drei von der Form her ähnlichsten Nachsilben zu: »ig«, »lich« und »isch«.
Durch Adjektive mit »ig« wird ausgesagt, dass das, was vom Stamm bezeichnet wird, in irgendeiner Form vorhanden ist. Ein Beispiel hierfür wäre also: »Draußen ist es ruhig. – Draußen ist Ruhe vorhanden.« Währenddessen schreiben die Nachsilben »lich« und »isch« dem neu entstehenden Adjektiv im Grunde die gleiche Bedeutung zu. Sie sagen aus, dass das folgende Wort in irgendeiner Weise von der Art des Wortstammes ist oder mit ihm zu tun hat: »Die Demonstration verlief friedlich. – Die Demonstration verlief von der Art des Friedens.« Auffällig ist dabei, dass sich trotzdem nicht jedes Nomen beliebig mit »lich« oder »isch« verbinden kann und dass es bei den Wörtern, bei denen die Adjektivbildung mit beiden Suffixen funktioniert, verschiedene Konnotationen gibt. Man vergleiche dazu einmal »bäuerlich« mit »bäurisch«, »kindlich« mit »kindisch« oder »weiblich« mit »weibisch«. Die »isch«-Version des jeweiligen Adjektivs wird hier abwertend verwendet und hat eine negative Konnotation, bezeichnet aber im Grunde das Gleiche.

Und wie verhält es sich mit anderen Nachsilben?

Wie facettenreich die Suffixe des Deutschen sind, zeigt folgende (wenn auch unvollständige) Liste:

• Bei Adjektiven, die auf »bar« enden, wird auf eine Handlung Bezug genommen, genauer gesagt auf das, was mit jemandem oder etwas gemacht werden kann: »Dieser Apfel ist essbar. – Man kann ihn essen.«
• Bei »en« und »ern« wird auf den Stoff verwiesen, aus dem etwas gemacht ist: »Die Krone ist hölzern. – Sie ist aus Holz gemacht.«
• »haft« drückt häufig einen Vergleich zwischen der beschriebenen Person oder Sache und dem zugrunde liegenden Nomen aus: »Der Junge benimmt sich babyhaft. – Er benimmt sich wie ein Baby.«
• Kommen wir zu unserem Beispiel mit dem gewaltsamen Baum zurück, stellt sich heraus: »sam« beschreibt, dass der beschriebene Baum von dem Ursprungswort, hier also Gewalt, erfüllt ist. Und Gewalterfülltsein ist für einen Baum eine eher untypische Eigenschaft. (Im Gegensatz dazu kann er aber gewaltig sein, weil in gewisser Weise Gewalt vorhanden ist bzw. er einen Eindruck von Gewalt machen kann.)
• Das Suffix »los« ist ziemlich selbsterklärend: »Der Text ist makellos. – Er hat keine Makel.«

Wem das bei all diesem Bedeutungswirrwarr zu kompliziert ist, der/die kann sich auch auf sogenannte primäre Adjektive beschränken. Diese existieren einfach so und haben selbstständige Bedeutungen, die nicht durch Nachsilben von anderen Wortarten abgeleitet wurden. Dazu gehören zum Beispiel »gut«, »schlecht«, »alt«, »jung«, »wahr«, »falsch«, »schlau«, »dumm«, »schief« und »krumm«. Anstatt eines Sechstels des Gesamtwortschatzes des Deutschen, hat man hier dann aber nur etwa 250 Wörter zur Auswahl. Und das ist auf Dauer vielleicht doch ein bisschen langweilig.

Das »weil« und der Wandel

Peter pflanzt schöne Blumen.

Peter pflanzt schöne Blumen.

Sprachwandel ist ein viel gebrauchtes, viel erforschtes und sicher auch viel gehasstes Wort. Der Dativ, der dem Genitiv sein Tod ist, Anglizismen, die sich überall einschleichen, und Abkürzungen, die um sich greifen, begegnen uns jeden Tag. Ein relativ aktuelles Phänomen, das Sprachpflegern dabei auf den Magen schlägt, ist der weil-Satz. Seit einiger Zeit wird dieser nämlich oft nicht mehr entsprechend all der anderen Nebensätze gebildet, sondern sein Verb bekommt eine neue Stellung, die der von Hauptsätzen entspricht: In Hauptsätzen wie »Peter pflanzt schöne Blumen.« oder »Schöne Blumen pflanzt Peter.« steht das finite Verb – also das Verb, das die Personen- und Zeitform anzeigt – klassischerweise an der zweiten Stelle. Bei Nebensätzen sieht das ganz anders aus. Diese werden durch Wörtchen wie »obwohl«, »damit«, »sodass« usw. eingeleitet. Sie werden als Subjunktionen bezeichnet und stellen die Verbindung zum Hauptsatz her, wobei das Verb dann wiederum an der letzten Stelle steht.

Aus Nebensätzen werden Hauptsätze

Beim weil-Satz scheint sich nun eine Besonderheit einzuschleifen: In der gesprochenen Sprache kommt es mit steigender Häufigkeit vor, dass das Verb plötzlich an die zweite Stelle wandert, obwohl es dort ja eigentlich gar nicht hingehört. Aber ist das falsch? Sprachwandelpessimisten finden: Ja.
Tatsächlich liest sich ein weil-Satz mit Verbzweitstellung eher stirnrunzelnd: »Peter gießt seine Blumen, weil er sieht sie gerne blühen.« Der Nebensatz sieht auf einmal aus wie ein Hauptsatz, die alte Konvention ist nicht mehr zu erkennen. Sprechern solcher Sätze wird dabei oft unterstellt, sie seien für die korrekte Satzbildung zu faul und die neuen Medien hätten einen erschreckenden Einfluss auf sie und unsere Sprache. Es wurde und wird angenommen, das Wörtchen »weil« werde einfach mit dem begründungsliefernden »denn« verwechselt. Bei Sätzen, die durch »denn« eingeleitet werden, handelt es sich nämlich nicht um Neben-, sondern um Hauptsätze, das heißt, ihr Verb steht an zweiter Stelle. Aber liegt hier wirklich eine Verwechslung vor? Entgegen dieser Meinung haben Sprachwissenschaftler bezüglich des weil-Satzes allerhand herausgefunden.

Das »weil« erschließt sich neue Felder

Sie haben die weil-Sätze noch einmal genauer unter die Lupe genommen und festgestellt: Beim Vergleich verschiedener Satzkonstruktionen, in denen »weil« vorkommt, sind die unterschiedlichen Verbstellungen auch mit unterschiedlichen Bedeutungen verknüpft. In der mündlichen Sprache weiß der Sprecher also sehr wohl, in welchen Momenten er das Verb an die zweite Stelle schiebt.
Statt einer Abflachung der Sprache, die allseits behauptet und ängstlich beobachtet wird, liegt also in Wahrheit eine weitere Differenzierung und gesteigerte Komplexität in der Konstruktion von weil-Sätzen vor. So konnten drei verschiedene Typen von Nebensätzen mit »weil« ausgemacht werden: Zunächst gibt es das faktische »weil«, das uns allen als korrekt bekannt ist und für das auch alle Sprachpfleger plädieren. Hier steht das Verb wie gehabt an letzter Stelle. Der Nebensatz gibt hier bezogen auf den Hauptsatz die Antwort auf die Frage »Warum ist das so?«. Ein Beispiel: »Peter gießt seine Blumen, weil sie wachsen und gedeihen sollen.«
Neben dieser Kategorie gibt es das schlussfolgernde »weil« in Sätzen mit Verbzweitstellung. Hier gibt der weil-Satz Antwort auf die Frage »Woher weißt du das?« – »Peter hat seine Blumen gegossen, weil die Gießkanne steht noch draußen.« Hier wird mit dem »weil« kein faktischer Grund geliefert, sondern eine Begründung, die aus der Umgebung abgeleitet ist.
Nebensätze mit sprechhandlungsbezogenem »weil«, bei denen das Verb auch an zweiter Stelle steht, liefern schließlich die Begründung dafür, warum die vorangegangene Aussage mit dem Hauptsatz überhaupt gemacht wurde: »Nachher regnet es wahrscheinlich, weil das kam gestern im Wetterbericht.«

Keine Angst vorm Sprachwandel

Statt dass sich der deutsche Nebensatz mit »weil« also vereinfacht und an Komplexität verliert, kann er mit seinen unkonventionellen Formen ganz im Gegenteil sogar noch eine Menge anderer Gesprächsfunktionen übernehmen. Pessimistische Befürchtungen im Hinblick auf diese Entwicklung sind daher relativ ungerechtfertigt, schließlich befindet sich unsere Sprache in einem steten Wandel. Nicht nur grammatische Formen, sondern auch eine Vielzahl von Wörtern, die wir heute als altmodisch oder unpassend empfinden, haben früher in die allgegenwärtige Alltagssprache gehört und sich von dort aus zusehends an die Peripherie bewegt – und das ohne, dass man sie heute großartig vermisst, weil sie durch neue Wörter oder Formen ersetzt wurden. Ob sich also auch der weil-Satz in seiner aktuell häufigen Verwendungsform irgendwann durchsetzt und seinen Weg in den Duden findet, bleibt noch offen. Wir sind gespannt.

Merkeln, schrödern und orbanisieren

 

Nicht jeder Neologismus geht dauerhaft in den Sprachgebrauch ein, Bild: Edyta Dombrowski.

Nicht jeder Neologismus geht dauerhaft in den Sprachgebrauch ein, Bild: Edyta Dombrowski.


Namen von bekannten Personen, insbesondere von Politikerinnen und Politikern, und ihre charakteristischen Eigenschaften werden vielfach mit eigenen Wortschöpfungen belegt. In den Medien kreiert sind die Neologismen meist aktualitätsgebundene, negativ konnotierte Modeerscheinungen. Es gab schon alles Mögliche: schrödern für „autoritäre Auftritte“, merkeln für „zögerliches Verhalten“, wulffen je nach Kontext für „lügen, ohne es zuzugeben“, „auf Kosten anderer Leben“ oder „den Anrufbeantworter vollquatschen“.

Im Zuge der letzten polnischen Präsidentschaftswahl im Mai 2015 tauchte in der deutschen Medienlandschaft vielfach der Begriff der Orbanisierung auf. Der unerwartete Sieg des nationalkonservativen Politikers Andrzej Duda löste Besorgnis über mögliche euroskeptische und nationale Entwicklungen sowie über ein Abdriften Polens nach rechts – wie in Ungarn unter Viktor Orbán – aus.

Einen politischen Vergleich machte jüngst auch der Grünen-Chef Cem Özdemir, als er sich zur aktuellen Parlamentswahl in der Türkei äußerte. Özdemir kritisierte den zunehmend autoritären Herrschaftsstil des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und schrieb ihm putineske Züge zu.

Nicht jedes Wort geht nachhaltig in den Sprachgebrauch ein, viele sind lediglich Schlagzeilen-Eintagsfliegen. Guttenbergen für „abschreiben“ wird kaum jemand noch benutzen. Wenn aber die Aktualität eines Wortes nicht abnimmt, dann hat eine Neuschöpfung gute Chancen, länger bestehen zu bleiben.

Solange zum Beispiel Röntgenstrahlen zum Einsatz kommen, wird röntgen vielleicht weitere hundert Jahre alt. Bis zur nächsten Arbeitsmarktreform, wird man, wie wohl jeder weiß, auch weiterhin keine Sozialhilfe empfangen, sondern hartzen. 2009 zum Jugendwort des Jahres gewählt ist das von Peter Hartz und den Hartz-IV-Reformen abgeleitete Verb immer noch im Gebrauch und mittlerweile online im Duden zu finden.

Ähnliche Entwicklungen gibt es selbstverständlich auch in anderen Sprachen. So schaffte 2012 der Fußballprofi Zlatan Ibrahimović durch seinen außerordentlichen Fußballstil mit zlatanera (deutsch: zlatanieren) für „stark dominieren“ den Sprung in die schwedischen Wörterbücher.

Doppelpunkt: der Tausendsassa

Der Doppelpunkt, auch als Kolon bekannt.

Der Doppelpunkt: ein unscheinbares Multitalent mit poetischem Potenzial.

Der Doppelpunkt ist ein Tausendsassa unter den Satzzeichen: Er zählt zu den sogenannten Satzmittezeichen; seine Verwandten sind das Komma, das Semikolon und der Gedankenstrich. Er steht nie am Ende eines Satzes, ist kein Satzschlusszeichen, sondern ein Ankündigungs-, Übergangs- und Hervorhebungszeichen.

Seine Funktion: Ankündigung von Zitaten, wörtlicher Rede, Aufzählungen, Erläuterungen, Zusammenfassungen, Schlussfolgerungen. Weil er eine Zäsur setzt, bringt er Dynamik in den Text. Korrekt eingesetzt, ist er ein minimalistisches, aber sehr wirksames rhetorisches Werkzeug. Nicht korrekt verwendet, wird er zu einem Wichtigtuer, der mit großem Trommelwirbel Wichtiges ankündigt, jedoch Kümmerliches präsentiert, nämlich: weniges bis nichts. Der Doppelpunkt trennt nicht, er verweist vielmehr auf eine logische Verbindung. Er ist zudem insofern nützlich, als er als gnadenloser Rationalisierer umständliche Formulierungen, Nebensätze und Bindewörter überflüssig macht, oder in Überschriften Satzstücke verbinden kann.

Darüber hinaus wird er in der Mathematik als Divisionszeichen verwendet – das haben wir Leibniz zu verdanken –, zur Notierung von Verhältnissen – zum Beispiel von Fußballergebnissen (2 : 1) – und als Trennzeichen bei Zeitangaben (17:09:58).

Summa summarum: Der Doppelpunkt ist ein Satzzeichen, das dezent auf wörtliche Rede hinweisen kann, oder als unübersehbares Signal Aufmerksamkeit auf das Folgende steigert: Er sorgt für Klarheit, Ordnung und Übersichtlichkeit.

Wer hätte aber gedacht, dass dem Doppelpunkt auch poetisches Potenzial innewohnt? Dieses findet sich in Uwe Tellkamps Roman Der Turm wieder, der das Ende einer Epoche mit einem für den letzten Satz eines Romans falschen Satzzeichen markiert: einem Doppelpunkt.

Das finale historische Ereignis in Tellkamps Roman ist der Mauerfall, ein Bruch mit bisherigen Konventionen und mit bis zu diesem Zeitpunkt gültigen Regeln. Grammatikalisch verkörpert dieser Schluss auch eine Öffnung der Interpunktionsregeln: Am Ende des Satzes und des Romans steht, entgegen den Interpunktionsregeln, ein Doppelpunkt. So spiegelt er nicht nur den Epochenbruch wider, sondern zeigt auch auf: Das Ende ist nicht ein Ende, sondern ein Übergang, die Ankündigung von etwas Neuem.